Wirbel um Verkehrsversuch
Seit Monaten ist er in aller Munde: der Verkehrsversuch auf dem Gießener Anlagenring. Heute entschied das Verwaltungsgericht Gießen überraschend, dass die Änderungen der Verkehrsführung im Rahmen des Versuchs rechtswidrig ist. Die Stadt Gießen hat bereits Berufung eingelegt und zieht vor den Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel.
Seit Wochen erhitzt das Thema die Gemüter der Gießener Stadtgesellschaft und sorgt für allseits verhärtete Fronten. Auf der einen Seite die Befürworter und Verantwortlichen der Stadtpolitik. Besonders für die Stadtfraktion der Grünen ist die Umsetzung des Versuchs die Einlösung eines wichtigen Wahlversprechens aus der Kommunalwahl 2021. Auch SPD und Linke tragen den Versuch mit. Gemeinsam koalieren sie im Stadtparlament und bilden die Mehrheit. Doch so euphorisch wie die Grünen sind die beiden anderen Fraktionen bei Weitem nicht. Gerade die Basis der SPD ist gespalten, trägt sie doch auch Verantwortung für die Bürger im Landkreis.
CDU veröffentlicht Petition
Kritiker sind vor allem in den Reihen der CDU zu finden. Die beiden Landtagskandidaten der CDU haben bereits vor einigen Wochen für ordentliche Aufregung in den sozialen Netzwerken gesorgt. Frederik Bouffier und Lucas Schmitz haben gemeinsam eine Petition gegen das Vorhaben des Magistrats veröffentlicht. Laut eigenen Angaben hat diese bereits mehr als 13 000 Unterschriften gesammelt.
Die Kritiker argumentieren vor allem mit den hohen Kosten, einer geringeren Attraktivität der Innenstadt und mehr CO2-Ausstoß durch längere Fahrtwege. Die Befürworter sehen im Versuch einige Vorteile, vor allem aber steigere die Verkehrsführung die Sicherheit für Fahrradfahrer in der Stadt. Und die Fahrradfahrer sind dringend nötig, um die von der Stadt selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen. Außerdem fließe der Verkehr durch vereinfachte Kreuzungen deutlich besser und schneller, so Bürgermeister Alexander Wright (Bündnis 90/ die Grünen).
Stadt Gießen legt Berufung ein
Obwohl das Gericht jetzt negativ geurteilt hat, verändert sich vorerst nichts. Die Stadt hat Berufung eingelegt und so schreitet der Aufbau auf dem Anlagenring weiterhin voran. Ab dem heutigen Montag geht es mit einem neuen Bauabschnitt im Bereich zwischen Kennedy-Platz und Oswaldsgarten weiter. Gerade auf der dortigen Kreuzung kam es in den Morgenstunden zu gefährlichem Chaos. Für den Umbau wurde die gesamte Ampelanlage ausgeschaltet und der Verkehr sich selbst überlassen. Ordnungshüter der Stadt standen zwar daneben, griffen aber nicht ein. So kam es zu vielen gefährlichen Situationen beim Überqueren der Kreuzung. Zur Mittagszeit ereignete sich sodann ein schwerer Unfall im Kreuzungsbereich mit einem Fahrradfahrer, dessen Hergang noch nicht abschließend geklärt scheint. Unabhängig von diesem Unfall war das Queren der Kreuzung für Radfahrer mit größeren Herausforderungen verknüpft, als für Autofahrer. Zeitweise stand sogar ein Ampelmast auf einer Fahrradspur.
Kommentar
Die Stadt Gießen und vor allem Oberbürgermeister Becher müssen nach den Ereignissen des heutigen Tages nun endgültig überlegen, ob sie den eingeschlagenen Weg wirklich weiter gehen möchten oder doch besser eine Exit-Strategie entwickeln sollten. Genügend Gründe hat die Stadt, jetzt fehlt nur noch der Mut, sich Fehler einzugestehen und die Courage, auch in der Koalition etwas zu riskieren.
Denn weiter darf man es mit der Stadtgesellschaft nicht mehr treiben: Eine negative Grundstimmung um deren Veränderung man sich augenscheinlich kaum bemüht, ein Gerichtsurteil mit wenig Perspektive auf rechtliche Sicherheit und eine Phase, in welcher genau die Gruppe großen Gefahren ausgesetzt werden, die die Stadt eigentlich schützen möchte. Das alles zeigt eins: das große Projekt der Koalition ist gescheitert. Bürgermeister Wright ist sowohl Chef des Verkehrs- als auch des Ordnungsamts und trägt für die dilettantische Umsetzung die Verantwortung. Er sollte sie nun auch politisch übernehmen!