Der tiefe Fall von Fynn Kliemann

»Gebe alles, was ich hab‘ für alles, was ich will. Ich will ‚ne ganze Menge, also geb‘ ich ganz schön viel.« So singt es Fynn Kliemann. Ein Unternehmer mit Herz, Hingabe und Vision. Ohne Gier. So zumindest stellte er sich da. Kliemann vermarktete so nicht nur sich selbst, sondern auch seine diversen Unternehmungen. 

Fynn Kliemann stammt aus Zeven, das liegt zwischen Bremen und Hamburg, und begann dort seine Karriere als Mediengestalter. Berühmt wurde er mit kultigen Heimwerker-Videos, die den Umbau seines Hauses zeigen. Heute ist er König des Kliemannslandes, Musiker, Besitzer eines Hausbootes, Autor, Immobilienvermieter und vertreibt seine eigene Kleidung. 

Und er war vor allem ein sehr beliebter Influencer, gerade weil er anders war, als die anderen.

Bis zu einer Sendung des ZDF Magazin Royales Ende Mai. Der Moderator Jan Böhmermann zerstörte in etwas mehr als zwanzig Minuten die öffentliche Wahrnehmung Kliemanns. Aus dem Dorf-Hipster wurde ein Unternehmer, dem Menschenleben egal sind und eine Influencer, dem Geld eigentlich doch viel wichtiger ist als alles andere. 

Obwohl Kliemann bei der letzten Bundestagswahl noch für die Grünen geworben hatte, folgte er mit seinem Handeln der CDU: Böhmermann deckte Maskendeals auf. 

Der Vorwurf: Kliemann warb Anfang 2020 für seine eigenen Masken. Fair produziert in Europa mit seinem Partner GlobalTactics. Zu dieser Zeit war Fynn Kliemann einer der wenigen, die schnell die Produktion umstellten und die Masken zu halbwegs erschwinglichen Preisen vertrieben. Angeboten wurden die fair gehandelten Masken im Online-Shop von Kliemann, bei AboutYou und bei GlobalTactics. Hier kommen wir auch zum Kernproblem, die Masken wurden zwar von GlobalTactics produziert und vertrieben, in der Hochzeit der Maskenproduktion warben aber alle mit dem Namen Kliemanns und er stellte sich selbst in der Öffentlichkeit und den Medien als Maskenproduzenten dar, obwohl er zu dieser Zeit nicht einmal Firmenanteile von GlobalTactics besaß, sondern lediglich Kunde dieses Unternehmens war. Das allerdings wurde von GlobalTactics sogar unterstützt, weil das Unternehmen mit der Figur Fynn Kliemann sehr gut werben konnte. Er stilisierte sich zum »größten Maskenproduzenten Europas«. Sogar die Mail-Adresse für Großkunden endete auf die Domain Fynn Kliemanns »[…]@fynn-kliemann.de«.

Das Problem an den Masken ist allerdings, dass durch geleakte Chats der wahre Ursprung der Stoffmasken ans Licht kam. Die Masken wurden nicht in Portugal fair hergestellt, sondern wie jedes andere Fast-Fashion-Produkt mit billigsten Stoffen von Menschen in riesigen, ausbeuterischen Textilfabriken in Bangladesch. 

Die Kartons aus Bangladesch wurden dann in Deutschland »neutralisiert«, d.h. Aufkleber und Beschriftungen, die auf Bangladesch als Herstellungsort hindeuten könnten, wurden entfernt. 

Auch interne Kommunikation zwischen Kliemann und dem Kontaktmann in Bangladesch weisen darauf hin, dass der Herstellungsort in jedem Fall geheim bleiben sollte.

Ein anderer, schwerwiegender Vorwurf Böhmermanns ist, dass gespendete Masken defekt gewesen sein sollen: In die Zeit der Corona-Pandemie fiel die Katastrophe im griechischen Flüchtlingscamp »Moria«. GlobalTactics spendete 100.000 ihrer Masken dorthin und Kliemann brüstete sich damit in den sozialen Netzwerken. Auf vorherige Nachfrage der Redaktion Böhmermanns stellte Kliemann nachträglich klar, dass er nur seinen Namen für diese Aktion hergab, er hingegen finanziell mit diesen Spenden nichts zu tun hab e.

Zu diesen Vorwürfen bekam Fynn Kliemann einige Tage einen Fragenbogen für eine Stellungnahme zugesendet. Dann tat er etwas, was er wohl für ziemlich clever fand: die Fragen beantwortete er in einem Livestream und stellte diesen dann auf Instagram online. Auf den ersten Blick kann man denken, dass er absolut transparent mit seiner Community umgehen wollte und er dies mache, weil er nichts zu verbergen habe. Ich sehe den Grund aber woanders. In dem er seine Fans ganz ungeniert beeinflusste und sie auf seine Seite zog, provozierte er einen Shitstorm gegenüber der Fernseh-Redaktion und brachte so einem einzigen Video journalistische Unabhängigkeit und die Recherche in Gefahr. Man könnte im fast unterstellen, er hätte dies sogar angestrebt.

Zwei Tage nach diesem Video ging das Video vom »ZDF Magazin royale«, mit oben skizziertem Inhalt, online. Trotz des Vorab-Statements von Kliemann ging an diesem Freitag ein Aufschrei durch die deutsche Medienlandschaft. Der Saubermann war in illegale Maskengeschäfte verwickelt.

Am Abend meldet sich Fynn Kliemann dann auch zu Wort. In einem Video, dessen Text er nicht auswendig konnte und in dem er Wort für Wort vom Papier ablas, entschuldigte und rechtfertigte er einen Teil der Anschuldigungen. Von Selbstkritik war aber keine Spur zu sehen. 

Dieses Video zog fast komplett nur negative Kritik nach sich. Einen Tag später, der Skandal erreichte eine neue Stufe der öffentlichen Erregung, hatte Kliemann nichts Besseres vor, als zum Spiegel zu rennen. Ich frage mich bis heute, ob Fynn Kliemann einen PR-Berater hatte und wenn ja, was der so beruflich macht. Der Shitstorm und das öffentliche Interesse hingegen nahmen nicht ab.

Deshalb kündigte der Internet-Star an, sich vorerst aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen und in naher Zukunft eine allumfassende Stellungnahme zu veröffentlichen.

Währenddessen kam die Internet-Bubble immer noch nicht zur Ruhe. Nach und nach luden alle Videoproduzenten mit etwas Bekanntheit, Reaktionen hoch. Oft fielen Sätze, wie »Mir war klar, das bei Kliemann nicht alles mit rechten Dingen zu geht« oder »Ein Geschäftsmann […] in grün-gelb«. Dieser letzte Satz blieb mir in Erinnerung. Er vermittelt eigentlich genau das, was Kliemann zum jetzigen Moment zu sein scheint. Auf der einen Seite wirbt er im Vorfeld der Bundestagswahl für die Wahl der Grünen, auf der anderen Seite täuscht er seine Kunden und lässt seine Produkte billig in Fernost herstellen. Nennt man so etwas Doppelmoral?

In dieser Zeit stach ein Video-Produzent besonders hervor: Der Dunkle Parabelritter. Er tritt öfter mit sogenannten »Zerstörungsvideos« in Erscheinung. Darin analysiert er ein Thema und positioniert sich dazu. Seine Position untermauert er meist mit Argumenten, die sich aus dem Verlauf des Videos ergeben. In seinem ersten Video über Fynn Kliemann wird er sehr emotional. Er spricht dort einen Augenblick über das Kliemannsland. Das Kliemannsland ist ein Kreativhof in der Nähe von Zeven, einer Kreisstadt zwischen Bremen und Hamburg. Dieser alte Hof ist seit 2016 der Drehort der YouTube-Videos des Kliemanslandes. Diese Videos wurden zwischen 2016 und 2020 für funk produziert. funk ist das Jugendmedienangebot von ARD und ZDF. Kliemann und funk trennten sich im August 2020 einvernehmlich voneinander.

In seinem Video stellt der dunkle Parabelritter in den Raum, dass dieser Hof vom NDR für die Videos gekauft worden sei, Kliemann ihn jedoch auch nach der Trennung weiter nutze. Mit dieser Aussage bezichtigt er konkret Mitarbeiter des NDR der Untreue. Mit ein wenig Recherche lässt sich jedoch ganz einfach herausfinden, dass der NDR finanziell nichts mit dieser Liegenschaft zu tun hat. Kliemann und die damalige Produktionsfirma haben das Anwesen selbst gekauft. 

Diese falschen Anschuldigungen können nicht nur bei Personen selbst Spuren hinterlassen, sie beschädigen eben auch ein ganzes System: den Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunk. Dieser steckt momentan eh schon in einer tiefen Krise. Das letzte, was die deutsche Medienlandschaft jetzt braucht, sind falsche Untreue-Vorwürfe aus niederen Beweggründen. Und diese Beweggründe sind ganz einfach. Der Dunkle Parabelritter möchte ein eigenes Festival veranstalten und bedauert es, keine Unterstützung einer Landesrundfunkanstalt zu erhalten.

Aber zurück zum wirklichen Thema dieses Artikels: der Maskenskandal von Fynn Kliemann. Nach einiger Zeit veröffentlichte der Geschäftsführer von GlobalTactics, die Partnerfirma von Kliemann, ein Statement zu den Vorwürfen des Fernseh-Magazins. Dort bezog er umfassend Stellung zu allen ihm zur Last gelegten Dingen. Und das wichtigste dabei: er entlastete in großem Umfang seinen Geschäftspartner Fynn Kliemann. Er gab zu, einen Teil der Masken in Fernost produziert zu haben. Diese seien aber lediglich für Großabnehmer gewesen zu sein. Diese wären darüber informiert worden und die Kunden aus Kliemanns Online-Shop hätten Masken aus Portugal bekommen. Überhaupt habe Kliemann mit Geschäften mit Masken aus Fernost nichts zu tun gehabt. Das stimmt aber nur zum Teil. In der Tat kann man Kliemann nicht nachweisen, aus diesen Geschäften einenVorteil gehabt zu haben. Im Gegenteil eine unabhängige Wirtschaftsprüferin hat festgestellt, dass die Masken aus Kliemanns Shop wirklich aus Portugal kamen. Dies geht aus dem Abschlussbericht hervor, der dieser Zeitung vorliegt. Aber: Kliemann hat den Kontakt zwischen GlobalTactics und Adrian Ahrens hergestellt. Adrian Ahrens ist der Importeur der Masken aus Bangladesch. Kliemann wusste also zumindest davon.

Ein weiterer Vorwurf war auch, dass Kliemann defekte Masken an geflüchtete gespendet habe, die sich dadurch geschützt gefühlt haben, aber durch diese Masken nicht geschützt waren. Hier weist auch diesmal GlobalTactics den Vowurf zurück. Ahrens habe dem Unternehmen gegenüber lediglich kommuniziert, dass die Masken ein falsches Schnittmuster hätten, sonst aber voll funktionsfähig seien. Dies bestätigen auch geleakte Chats zwischen Tom Illbruck und Adrian Ahrens. 

Irgendwann veröffentlichte auch Kliemann ein neues Statement. Diesmal in ruhiger Atmosphäre, auswendig gelernt und gut vorbereitet. Und: ungewohnt selbstkritisch. Er habe aus Fehlern gelernt und ganz viel falsch kommuniziert. Er hätte sich zum größten Maskenproduzenten Europas stilisiert und dabei keine einzige produziert. In Zukunft möchte er so etwas in seinen Unternehmen nicht zu lassen und deshalb einen unabhängigen Beirat einsetzten, der eine bindene Satzung erarbeiten soll.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Kliemann nur sich selbst geschadet hat. Er hat seine eigenen Prinzipien verletzt und gegen seine eigenen Vorstellungen von sozialem Unternehmertum verstoßen. Und: er hat ganz viel Vertrauen verspielt. Vor diesem Skandal gab es niemanden, der ihm nicht vertraut hat. Ich denke nicht, dass er sich dies alles wieder zurückholen kann. Aber er versucht sich an Wiedergutmachung. Ob das funktioniert, wird man in Zukunft sehen können.

Maximilian Stock

Maximilian Stock

Chefredakteur, Ressortleitung Politik und Aktuelles